„Warum Runkel zwei Burgen hat“ – Nassauische Neue Presse, 06.06.2014

Warum Runkel zwei Burgen hat. . .

Runkel-Schadeck. Was würden Sie sagen, wenn Sie ins Theater gehen und die Schauspieler wissen fünf Minuten vor der Vorstellung noch nicht, was sie am selben Abend spielen werden? Wahrscheinlich würden Sie aufstehen und den Eintritt zurückfordern. Wenn es sich aber um Improvisationstheater wie jetzt im Schadecker Kornspeicher im Rahmen der Kulturreihe „t-Art-Orte“ handelt, kann es spannend sein, einfach abzuwarten und sich auf das Experiment einzulassen.

Die Kunst ist frei

Nach zweieinhalbstündigem Spaß hatten die Lokalmatadorinnen der „Prachtigallen“ das hartumkämpfte Match gegen die Improvisations-Routiniers von „Subito“ (Bernhard Mohr und Valerie Lecarte) aus Wiesbaden um eine Rose mit 30,1 zu 30,0 Punkten gewonnen. Da die Zuschauer für alle Vorträge begeistert und höflich jeweils volle fünf Punkte verteilten, hatten die Blumen als Zusatzzehntelpunkte entscheidende Wirkung.

Lange führten die selbstbewussten Gäste, doch in der letzten Runde nutzten Hausherrin Tatjana Trommershäuser und ihre Kölner Schauspielkollegin Natascha Cham den Heimvorteil eiskalt aus und bogen die Partie quasi in der Nachspielzeit noch um. Das Publikum konnte aktiv ins Geschehen eingreifen. Die Theaterfreunde durften bestimmen, welche Eigenschaften die Spieler umsetzen oder aus welchen Sätzen sie eine Handlung erfinden mussten. Da alle Schauspieler ihre Kunst verstehen, entwickelte sich ein rasantes Spiel auf Augenhöhe. Urkomisch beispielsweise, als das Wiesbadener Duo spontan erläutern musste, warum in Schadeck das „Who“ zu hat. Die Gaststättenbesucher können beruhigt sein: Die „Burgschänke“ bleibt offen. Aber die Kunst ist nun mal frei.

Das Improvisationstheater brachte Akteuren wie Zuschauern gleichermaßen Spaß. Und auf der Bühne des Kornspeichers war fast alles erlaubt. Da durfte ungestraft und unwahr behauptet werden, dass Runkel zwei Burgen, aber keinen gescheiten Gasthof habe, oder dass die Runkeler wie eine Mücke sind: Penetrant und lästig. Jede Szene war verrückter und lustiger als die andere. Wenn bei „Subito“ die arrogante Petra („Alle Frauen, die Petra heißen, sind so“) sich mit dem prolligen Horst aus Idstein („Bad Camberg wäre schlimmer gewesen“) zoffte, musste man einfach gleich loslachen. Und wenn in einer Szene Tauben in einem Wiener Park geschossen werden und dabei versehentlich ein Papagei tödlich getroffen wird, dann darf man als Tatjana Trommershäuser schon mal selbstbewusst anmerken: „Bei uns in Schadeck wär’ das nicht passiert.“

Sehenswert war auch das Zeitlupenspiel zum Thema Sportangeln, wo Bernhard Mohr am Ende mit den Worten „Ich hab’ gedacht, in der Lahn schwimmen Fische“ genervt die Angel einpackte. Ein weitere Höhepunkt war sicherlich, als er und Lecarte Tiere spielen und ihre Identität gegenseitig erraten mussten. Die Zuschauer hatten ihnen die Rollen als tollpatschiger Pinguin und zickiger Flamingo zugeteilt, und am Ende wurde in der lange unglücklichen Liebe alles gut, und die beiden konnten gemeinsam in Eintracht ihre Fische verspeisen.

Weitere Aufführungen

Auf dem Land nicht einfach hatten es dagegen Cham und Trommershäuser als lesbisches Liebespaar beim Friseur, die auf Zetteln notierte Sätze des Publikums wie „Du bist die schleimigste aller Schleimschnecken“ mit in den Dialog einbinden mussten. Zum krönenden Abschluss mussten die vier Spieler aus einzelnen vorgegebenen Sätzen auf der Stelle Lieder der verschiedensten Musikrichtungen von Schlager über Hip Hop bis hin zu Heavy Metal und Polka erfinden. Mit dem traditionellen „Subito“-Abschluss-Song aller Künstler „Ordnung ist das halbe Leben“ endete die Show, in der die „Prachtigallen“ und ihre Gäste aus dem herrlichen Chaos etwas mehr als Ordentliches gemacht hatten.

Wer das Improvisationstheater von „Subito“ im Rahmen der „t-Art-Orte“ auch einmal erleben möchte, hat diesen Samstag um 19 Uhr in Wallrabenstein im Künstlerhof Ilka Fanta noch einmal Gelegenheit dazu. Im Schadecker „Kornspeicher“ ist der Schmiedekurs heute, Freitag, bereits ausgebucht, doch Zuschauer sind gerne willkommen. Wer sich selbst als Künstler betätigen möchte, kann am Samstag ab 14.30 Uhr dorthin zum offenen Atelier kommen, wo gemalt, gezeichnet, mit Specksteinen gearbeitet und Skulpturen gefertigt werden können.

Abends um 19 Uhr findet im Kornspeicher dann die letzte Vorstellung von „Wahnsinnig Genial“ von Trommershäusers „Zwiebelfisch-Spielleuten“ statt. Freitag, 20. Juni, gastieren die „Prachtigallen“ übrigens auch im Rahmen des Runkeler Kultursommers mit ihrem aktuellen Programm „Gefühlsduseleien“ in der Zehntscheune.

(rok)

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